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Zuchtwertschätzung, Teil 2
Bei der Französischen Bulldogge z.B. wird für die Merkmale Kaiserschnitt, Patellaluxation, Typ, Rutenansatz, Hinterhandwinkelung und Wesen eine Zuchtwertschätzung durchgeführt. Die Daten dazu sind in einer Datenbank hinterlegt, insgesamt sind 1556 Tiere gespeichert. Werden für einen Bully die Zuchtwerte 106, 99, 85, 98, 90, 94 ausgewiesen, so geht daraus hervor, daß sein Zuchteinsatz (bei seinen Töchtern) das Kaiserschnittrisiko deutlich verstärkt (106). Das Patellaluxationsrisiko (99) wird in der Nachzucht rassetypisch sein, tiefer Rutenansatz (85), ein mittlerer Typ (98) mit wenig Hinterhandwinkelung (90) und wenig Selbstsicherheit (94) ist zu erwarten. Die Zahlen sind die aktuellen Erwartungen bei dem derzeitigen Erkenntnisstand und es ist klar, daß mit neueren Erkenntnissen sich die Erwartungen auch ändern können.
Geschätzte Zuchtwerte müssen sich ändern. Jeder gute Züchter beobachtet ja auch das verwandtschaftliche Umfeld. War die Mutter eines Tieres bis dato ohne tierärztliche Hilfe bei der Geburt ausgekommen, so ist für eine junge Hündin ihr Zuchtwert bezüglich Kaiserschnitt anders einzustufen, wenn plötzlich die dritte Gravidität der Mutter mit einem Kaiserschnitt endet. Erst wenn die laufend zugewonnenen Erkenntnisse die Zuchtwertzahlen aktuell nachkorrigieren, ist auch eine realitätsnahe Züchtung möglich. Für Hovawarte z.B. ist HD, verkürzter Unterkiefer, Temperament, Typ, Beutetrieb und Haarlänge die Liste der beachteten Merkmale und für den Jagdhund Deutscher Jagdterrier werden für Linsenluxation, Größe, Nase, Spurlaut, Bauarbeit und Wasserfreude Zuchtwerte berechnet. Die einzelnen Rassen mit den von ihnen ausgewählten Merkmalen lassen sich an dieser Stelle nicht alle aufführen. Zu den häufigen Mißverständnissen um die Zuchtwertschätzung gehört, daß eventuelle Falschbeurteilungen durch Richter durch eine Zuchtwertschätzung korrigiert werden kann. Das geht jedoch nicht. Die Zuchtwerte beschreiben die Genetik, nicht den Phänotyp. Wird im Wesen z.B. ein Hund als ängstlich eingestuft, so kann es durchaus sein, daß er einen überdurchschnittlichen Zuchtwert hat, also Selbstsicherheit vererbt. Wenn das Tier durch extreme Erlebnisse und Schock zum ängstlichen Tier wurde, ist das vorstellbar und belegbar, wenn die Geschwister, Eltern und auch evtl. vorhandene Nachzucht nervenstark und sicher ist. Das ändert aber nichts daran, daß das Tier ängstlich ist. Umgekehrt bedeutet das aber auch, daß ein selbstsicheres Tier auch Ängstlichkeit vererben kann. Listen mit Zuchtwerten Wenn man die Zuchtwertschätzung durchführt, liegt am Ende je Merkmal für jedes Tier ein Zuchtwert vor, egal ob es selbst geprüft ist oder nicht, denn jedes Tier hat eine beachtliche Zahl von geprüften Verwandten, aus denen der Zuchtwert ermittelt wird. Auch Rüden haben einen Zuchtwert bezüglich Geburtsverlauf, da ihre Mütter und Großmütter evtl. Schwestern und vielleicht auch schon Töchter Geburten hatten, deren Verlauf registriert wurde. Hündinnen können einen Zuchtwert für Kryptorchismus haben, weil ihre männlichen Verwandten z.B. bei Wurfabnahmen überprüft wurden. Wenn man bedenkt, daß ja auch ein Bulle einen Zuchtwert für Milchleistung bekommt obwohl er selbst keine Milch geben kann, ist das eigentlich klar. Wie schon oben erwähnt, sind für die meisten Rassen 6 Merkmale definiert, die für die Rasse eine besondere Bedeutung haben, evtl. besondere Defizite darstellen und damit züchterisch vordringlich sind. In Listen werden diese 6 Merkmale der Zuchtleitung zur Verfügung gestellt, in anderen Rassen sind sie den Züchtern auch direkt zugänglich. Macht man sich noch mal klar, daß der Zuchtwert die Vererbung beschreibt, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen daraus ein Zuchtverein ziehen muß und welchen Nutzen daraus ein Züchter ziehen kann. Konsequenzen für den Verein Betrachten wir zunächst den Verein. Er hat eine Verantwortung für das Ansehen der Rasse und ist allen Käufern gegenüber in der Pflicht, die mit dem Namen der Rasse einen liebenswerten, leistungsfähigen, gesunden, vitalen Hund verbinden. Er hat auch die Verpflichtung, Angriffe von Tierschützern nicht durch Rhetorik, sondern durch Realität abzuwehren. In Bezug auf Kaiserschnitt würde das bedeuten, daß nur noch Welpen gezüchtet werden dürften, die ein unterdurchschnittliches Risiko erwarten lassen. Vater und Mutter bestimmen die Gene des Welpen gemeinsam, je zur Hälfte. Da die elterlichen Zuchtwerte die Wirkung dieser Gene beschreiben, dürfte der Durchschnitt der Elternzuchtwerte nicht höher als 100 liegen. Hat man eine Hündin mit dem Zuchtwert 107, so müßte der Rüde einen Zuchtwert von höchstens 93 haben, um diese Forderung zu erfüllen. Mit dieser Regelung, niedergeschrieben in einer verbindlichen Zuchtordnung, haben andere Vereine hervorragende Zuchtfortschritte gemacht. Eine solche Regelung als unverbindliche Empfehlung zu formulieren, reicht nicht aus. Beispiele in der HD-Bekämpfung zeigen deutlich, daß der Zuchtfortschritt sofort aufhört, sich sogar in Rückschritt umkehrt, wenn man die Entscheidung allein in die Eigenverantwortung der Züchter legt. Der Zuchtverein übernimmt damit den "Verbraucherschutz", denn letztlich sind ja die Besitzer gegenüber den Züchtern die Mehrheit im Verein. Konsequenzen für den Züchter Nicht alle Merkmale sollten einer Regulierung unterliegen. Es muß für den Züchter gestalterische Freiräume geben. Auch ist nicht immer Mehr gleich Besser. Im Typ beschreiben die niedrigen Zuchtwertzahlen einen zierlichen, die hohen Zahlen den wuchtigen, substanzvollen Typ. Beides ist sicher unerwünscht. Der Züchter erhält eine Orientierungshilfe, wenn er zu seiner gegebenen Hündin den passenden Rüden sucht. Der Verein bietet die Zuchtwerte als Information an. Der Züchter sollte aber an den Zuchtwerten der Welpen, die er züchtet, auch erkennen, welchen genetischen Level er schon erreicht hat. Der Verein sollte es honorieren. Leider sind die Ausstellungsergebnisse, Titel und Championate derzeit die einzigen Anreize und Bestätigungen der züchterischen Bemühungen, deren Folgen in überzeichneten Standards enden. Wenn man in dem genetischen Niveau der Gesundheitsrisiken unter 80 und bei Selbstsicherheit bei 110 steht, wäre es Zeit, den Pokal zu vergeben. Der verantwortungsvolle Züchter darf darauf aber nicht warten. Er sollte selbst den Sekt aus dem eigenen Keller holen und mit seinen Hunden darauf anstoßen. Der Umgang mit Zuchtwerten Die Zuchtwertschätzung ist in vielen Vereinen zur Routine geworden. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß dadurch das Interesse an den Zuchttieren auch gewachsen ist. Man verfolgt die Zuchtwertentwicklung aufmerksam, die Listen werden stets neugierig erwartet. Es hat sich auch gezeigt, daß die Züchter nach wie vor Hunde züchten und keine Zuchtwertzahlen. Es ist klar, daß ein Hund aus mehr besteht als aus 6 Merkmalen und daß für die schöpferische Kraft eines Züchters mehr notwendig ist als 6 Zuchtwerte bieten können. Es bleibt die Notwendigkeit, für Vitalität, Ausstrahlung und Harmonie ein Gespür zu entwickeln. In Verbindung mit dem, was durch die Beobachtungen bei Zuchtzulassungen und Wurfabnahmen an Erkenntnissen anfällt, ist man sicher für eine erfolgreiche Zucht gewappnet, die auch dem gesellschaftlichen Druck gegen Rassehundezucht standhält. Literatur: Beuing, R. (1993) Zuchtstrategien in der Kynologie Schriftenreihe Kynologie Band 1 , TG-Verlag Giessen Beuing, R. (1997) Strategien zur Bekämpfung von Erbfehlern beim Hund FCI-Tagung Basel, 1997 |
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